Gero Walters Kolumne - zweiter Beitrag

Der Aufmacher der SZ-Wochenendbeilage ist immer für außergewöhnliche und durchdachte Ansichten gut. Der Titel des Aufmachers vom 29./30. März - "Die neurotische Gesellschaft und ihre Freunde wollen uns in die Mangel nehmen. Bürger, wehrt euch gegen Rauchverbote, Sexratgeber und Ernährungshinweise" war mir hingegen schon so zuwider, dass ich mich fast zwingen musste, den Artikel zu lesen. Einige werden sich schon denken können, was mich daran stört: dass das Rauchverbot in diesen Zusammenhang gestellt wird. Im Text selbst wurden meine Erwartungen nicht enttäuscht: "Von New York nach Los Angeles werden Raucher schon seit Jahren mit Flammenwerfern beschossen, sobald sie das Zellophan von der Lucky-Strike-Packung reißen. Man hatte sich nur gewundert, dass die Raucher hierzulande so kampflos aus der Öffentlichkeit verschwanden wie Silberfische nach einer Kammerjägerattacke." Jaja, übertreiben macht anschaulich, aber trotzdem, was für ein Schwachsinn.

Der Autor hätte sich stattdessen wundern sollen, warum die meisten unserer rauchenden Mitmenschen so viele Jahre lang die Chuzpe besaßen, ihre Umgebung völlig rücksichtslos mit ihren Abgasen zu belästigen, und oftmals, als Gipfel der Unverfrorenheit, im Restaurant über die höfliche Bitte, mit dem Anzünden der Zigarette zu warten, bis der letzte am Tisch ausgegessen habe, mittels des Spruchs zu spotten: "Neinnein, es stört mich nicht, wenn du noch isst, während ich rauche..." P. wird jetzt wieder (wie zu meiner ersten Kolumne) sinngemäß sagen, meine Position sei doch diejenige eines jeden halbwegs verständigen Menschen, und gerade deshalb frage ich mich schon, ob Rauchen nicht vielleicht doch die kognitive Leistungsfähigkeit einschränken kann, wenn ich solche Artikel lese. Der Teil über das Rauchverbot endet übrigens mit folgendem Satz: "Das Tabu Rauchen können wir jetzt beruhigt abhaken und gegebenenfalls nochmals aufgreifen, sobald sich der erste bayerische Dorfpfarrer weigert, einen verstorbenen Raucher in geweihter Erde zu bestatten." Gegenüber solch fehlgeleitetem Furor kann man nur noch sprachlos den Kopf schütteln.

Als Held des zivilen Ungehorsams wird unterdessen auch der Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt gefeiert, weil er nicht davon lassen konnte, in einer Lokalität trotz Rauchverbots sich und seiner Frau je eine Zigarette zu genehmigen, und von einem anderen Anwesenden deshalb prompt angezeigt wurde. Wie sehr muss dieser Mann wohl seine eigenen Bedürfnisse über den Schutz seiner Mitmenschen und über die Befolgung der Rechtsordnung stellen, um dann auch noch mit seiner Gleichgültigkeit gegenüber der Anzeige im Zeit-Magazin ("Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt") zu prahlen? Aber gut, wir sind ja von anderen "Staatsmännern" noch ganz andere Dinge gewohnt, von denen ich hier einige kurz aufzählen möchte, damit sie nicht in Vergessenheit geraten: Schily legt seine Einkünfte nicht offen obwohl er es als Abgeordneter muss, Wiesheu und die Promillefahrt, Kanther (Mr. Law-and-Order) und Koch und das hessische CDU-Schwarzgeld, und natürlich Kohl und sein "Ehrenwort".

Aber zurück zum Rauchverbot: Man muss sich schon sehr wundern, wie und von welchen Seiten diese schon seit Jahren überfällige Regelung in Beschuss genommen wird. Da ist der Herr Blume-Beyerle, Chef des Münchner Kreisverwaltungsreferats, und sabotiert die Durchsetzung des Rauchverbots, indem er in Interviews penetrant darauf hinweist, dass die Stadt München das Verbot nicht wirksam kontrollieren könne - bei dem Verbieten von Demonstrationen ist der Herr nicht so zurückhaltend, wobei da natürlich die von der Polizei herbeiphantasierten Tausenden von Gewalttätern bei der Begründung helfen... Oder all diejenigen, die jetzt ach so liberal fragen, ob denn wirklich per Gesetz festgelegt werden müsse, dass in Bars , Kneipen und Restaurants generell nicht geraucht werden darf, dies für einen Eingriff in die persönliche Freiheit der Bürger halten und fragen, ob man nicht den Wirten die Entscheidung überlassen könne, ob ihre Gaststätte rauchfrei sein solle oder nicht, da die Leute doch dann selbst entscheiden könnten, wo sie hingehen. Liebe Leute (fast hätte ich "Liebe Kinder" geschrieben), genau diese Entscheidungsfreiheit hatten Wirte und Gäste doch vorher. Und wo waren sie denn da alle, die rauchfreien Bars und Kneipen, wo doch in Deutschland nur etwa 27% der Bevölkerung Raucher sind? Welche Wahl hatte man denn als Nichtraucher? Nicht auszugehen und sich gegen seine rauchenden Freunde entscheiden zu müssen, oder eben einfach doch am Nachtleben teilzunehmen und dabei das toxische Luftgemisch zwangsweise zu inhalieren - ich darf an dieser Stelle vielleicht noch einmal daran erinnern, dass Tabakrauch eine "kaum überschaubare Fülle [an] krebserzeugender Substanzen" enthält (Wikiepdia, Artikel "Tabakrauch"), ganz abgesehen von der olfaktorischen Belastung, die der Rauch für die meisten Nichtraucher darstellt. Dafür kann übrigens schon eine einzige Zigarette reichen, die (auch unter freiem Himmel) an ein paar Tischen weiter entzündet wird; die meisten unserer rauchenden Mitbürger können es sich wohl nicht vorstellen, dass ihr Rauch auch aus dieser Entfernung schon wahrnehmbar ist und als störend empfunden wird, was, wie ich vermute, an ihrem beeinträchtigten Geruchssinn liegt. Die naive Argumentation mit der Entscheidungsfreiheit basiert ja übrigens auf dem Glauben an die grenzenlose Regulierungsfähigkeit des Marktes - aber das ist wieder ein neues Thema...

Kommen wir schlussendlich zur Feigheit (oder doch eher zur nackten Panik?) in der Leitung der CSU, die die getroffene Regelung nach dem nicht ganz so tollen Abschneiden in den bayrischen Kommunalwahlen als Placebo-Handlung wieder abschwächt. Allein schon aufgrund dieser jämmerlichen Vorstellung fände ich es sehr zufriedenstellend, wenn die CSU in den kommenden Landtagswahlen ihre bisher als gottgegeben erscheinende absolute Mehrheit verlieren sollte...





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